Friedrich Hölderlin – Abendphantasie


Vor seiner Hütte ruhig im Schatten sitzt
   Der Pflüger; dem Genügsamen raucht sein Herd.
      Gastfreundlich tönt dem Wanderer im
         Friedlichen Dorfe die Abendglocke.

Wohl kehren jetzt die Schiffer zum Hafen auch,
   In fernen Städten, fröhlich verrauscht des Markts
      Geschäft’ger Lärm; in stiller Laube
         Glänzt das gesellige Mahl den Freunden.

Wohin denn ich? Es leben die Sterblichen
   Von Lohn und Arbeit; wechselnd in Müh und Ruh
      Ist alles freudig; warum schläft denn
         Nimmer nur mir in der Brust der Stachel?

Am Abendhimmel blühet ein Frühling auf;
   Unzählig blühn die Rosen und ruhig scheint
      Die goldne Welt; o dorthin nehmt mich,
         Purpurne Wolken! und möge droben

In Licht und Luft zerrinnen mir Lieb und Leid! –
   Doch, wie verscheucht von törichter Bitte, flieht
      Der Zauber; dunkel wird’s und einsam
         Unter dem Himmel, wie immer, bin ich –

Komm du nun, sanfter Schlummer! zu viel begehrt
   Das Herz; doch endlich, Jugend! verglühst du ja,
      Du ruhelose, träumerische!
         Friedlich und heiter ist dann das Alter.


(* 20.03.1770 in Lauffen | † 07.06.1843 in Tübingen)